Einsatzauswertung aus der UB 11/91

Eisenbahnunglück...

... in Oebisfelde am 27. Juni 1991, eine Einsatzauswertung von Dipl.-lng. U. Lubosch.

Durch die Wucht des Aufpralls entgleisen die 3 ersten (Post-, Speise- und Schlaf-) Wagen des D-Zuges und 11 mit Superbenzin gefüllte Tankwagen des Güterzuges, von denen 5 Leck schlagen und sich das austretende Benzin entzündet. Die explosionsartigen Geräusche lassen die Leute im Umkreis mehrerer Kilometer aus dem Schlaf hochschrecken. Bei den Verpuffungen entstehen Stichflammen von 45-60 in Höhe. Die Kameraden der FF Velpke sind auf diese Weise ohne Funkalarmierung über den bevorstehenden Einsatz informiert, eilen zum Gerätehaus und besetzen die Fahrzeuge.

1. Alarmierung

Um 1.11 Uhr nimmt die Feuerwehrtechnische Zentrale (FTZ) Helmstedt die 1. Meldung entgegen, demzufolge im Bereich Papenrode eine Explosion und Feuerschein bemerkt wurden. Es besteht die Vermutung, daß ein mit Aussiedlern bewohnter Bauernhof brennt. Da sich der vermutlich brennende Gutshof im Ausrückebereich der FF Groß Twülpstedt befindet, wird diese sofort alarmiert. Ebenfalls um 1.11 Uhr wird in der FTZ eine 2. Meldung entgegengenommen, die aussagt, daß es zwischen Grafhorst und Oebisfelde zu einer Explosion kam. Unbekannt war jedoch, daß es sich um ein Eisenbahnbahnunglück handelt. Aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Annahme, daß es an 2 Stellen gleichzeitig brennt, und dem Brand im Raum Oebisfelde die größere Bedeutung beigemessen wird, werden die Freiwilligen Feuerwehren Velpke und Grafhorst alarmiert, damit sie den Brand aus unterschiedlichen Richtungen anfahren und somit genau orten.

Die zur Abfahrt bereite FF Velpke meldet noch während der Anfahrt zur Brandstelle um 1.22 Uhr an die FTZ: "Unfall zwischen Güter- und D-Zug im Bereich des Bahnhofes Oebisfelde". Somit steht fest, daß nur ein Brand ausgebrochen ist. Die bislang im Gerätehaus belassene FF Groß Twülpstedt wird alarmiert und rückt um 1.36 Uhr nach Oebisfelde aus, wo sie um 1.48 Uhr eintrifft. Die FF Grafhorst rückt um 1.18 Uhr aus und trifft um 1.35 Uhr an der Einsatzstelle ein. Um 1.26 Uhr ist das TLF 8 und um 1.31 Uhr die restlichen Kräfte der FF Velpke vor Ort. Der um 1.13 Uhr verständigte stellvertretende Gemeinde-Brandmeister Kehlau aus Velpke übernimmt vorerst die Leitung des Einsatzes. Da aus Sachsen-Anhalt kein Einsatzleiter vor Ort ist, wird um 1.23 Uhr Kreisbrandmeister Beese alarmiert. Nach der Information der FF Velpke werden ab 1.22 Uhr alle verfügbaren Kranken und Notarztwagen im Landkreis Helmstedt alarmiert, da mit einer hohen Anzahl von Verletzten gerechnet wird.

Deshalb werden alle Hilfsorganisationen und auch die privaten Krankentransporte verständigt. Aufgrund einer Vereinbarung über den Krankentransport durch die Feuerwehren im Landkreis Helmstedt rückt um. 1.27 Uhr die BF Wolfsburg mit 1 ELW, 2 RTW, 1 KTW, 1 NEF aus. Gleichzeitig wird mit der neu errichteten Einsatzleitzentrale in Haldensleben (SachsenAnhalt) Funkkontakt hergestellt. Der dortige Diensthabende verweist auf die Nichtzuständigkeit, da Oebisfelde im benachbarten Landkreis Klötze liegt, sorgte sich jedoch um die Alarmierung von Feuerwehren aus diesem Landkreis. So werden die FF Oebisfelde um 1.24 Uhr, die FF Salzwedel um 1.43 Uhr und die FF Bahrdorf um 1.44 Uhr alarmiert.

Ebenfalls um 1.43 Uhr wird das Rettungsamt Salzwedel informiert und über das Bezirksführungs- und Lagezentrum (BFLZ) Magdeburg weitere Feuerwehren angefordert. So auch um 1.48 Uhr die BF Magdeburg, die um 1.49 Uhr mit 2 Löschzügen, einem Schlauchfahrzeug sowie einem Schaummittelanhänger SBA 4.5 ausrückt. In der 1. Lagemeldung an das FTZ Helmstedt werden um 1.50 Uhr weitere TLF angefordert. Da am Einsatzort noch keine Wasserversorgung aus dem öffentlichen Netz aufgebaut werden konnte, werden um 1.52 Uhr die Besatzungen der Tanklöschfahrzeuge aus den FF Grasleben und FF Marienthal alarmiert. Sie haben den kürzesten Anfahrtsweg zum Unglücksort.

2. Einsatzverlauf

Die FF Velpke postiert ihren ELW auf der die Gleise überspannenden Brücke und baut um 1.45 Uhr die Einsatzleitung auf. Einsatzleiter ist zu diesem Zeitpunkt der stellvertretende Gemeinde-Brandmeister, Kamerad Kehlau, der gleichzeitig als Leiter des Brandabschnittes Nord fungiert. Der erste Angriff wird nördlich der Unglücksstelle eingeleitet, da sie auf dieser Seite von der Straße zu erreichen ist. In diesem Brandabschnitt kommen die Tanklöschfahrzeuge der FF Velpke und FF Groß Twülpstedt sowie der FF Grafhorst zum Einsatz. Die FF Oebisfelde unterstützt den Einsatz in diesem Brandabschnitt. Die nachfolgend eintreffenden Feuerwehren werden zu beiden Seiten der Bahnlinie verteilt, um die Brandausbreitung in beiden Richtungen einzudämmen und die angrenzenden Getreidefelder vor den Flammen zu bewahren. Das LF 8 und LF 16 der FF Velpke beginnen südlich der Eisenbahnstrecke mit den ersten Einsatzhandlungen. Leiter im Brandabschnitt Süd ist der Kamerad R. Marx von der FF Velpke.

Schwierigkeiten bereitete die Löschwasserversorgung, denn die Wehren aus Niedersachsen verfügten über keinerlei Ortskenntnisse. Gemeinsam mit Schaulustigen, die sich spontan dazu bereit erklärten, suchten die Feuerwehrmänner nach Löschwasserentnahmestellen. So war einigen Ortsansässigen bekannt, daß neben dem Bahnhof ein neuer Brunnen gebohrt worden war. Durch diesen konnten die Strahlrohre über eine neue Leitung, die über ca. 400 m von der FF Grafhorst verlegt wurde, mit Löschwasser versorgt werden. Die Tanks der TLF's sind leer, da steht die Wasserversorgung über diese Leitung. Die Ergiebigkeit der Löschwasserentnahmestellen war begrenzt, sodaß ein Schaumangriff zur Ablöschung eines Tankwagens fehlschlägt, da das Löschwasser für die anschließende Kühlung nicht ausreicht. Demzufolge kommt es zu einer nicht unerheblichen Rückzündung des Benzins in diesem Waggon. Es wird deshalb die Entscheidung gefällt, alles brennen zu lassen, nur zu kühlen und lediglich auf brennende Flächen einen Schaumteppich zu legen, damit sich der Brand nicht weiter ausdehnt. Um 1.46 Uhr beginnen Kameraden der FF Velpke die noch nicht brennenden Kesselwagen abzukuppeln und sorgen für Abtransport aus der Gefahrenzone. Zur Absicherung des weiteren Rettungs- und Löscheinsatzes werden um 1.52 Uhr

Krankenwagen, weitere TLF und Schaummittel angefordert. In den nachfolgenden Minuten rücken die FF Bahrdorf, FF Grasleben, FF Marienthal und die FF Vorsfelde aus, die um 2.22 Uhr eintreffen. Um 1.54 Uhr steht fest, daß sich keine Personen mehr im D-Zug befinden. Es besteht jedoch keine Möglichkeit, an die brennenden Loks heranzukommen, um nach den Lokführern zu suchen. Es besteht weiterhin höchste Explosionsgefahr. Auch bei der aus Sicherheitsgründen durchgeführten zweiten Begehung des D-Zuges wurden keine Verletzten mehr gefunden. Dafür entdeckte das Reichsbahnpersonal 2 mit Propan gefüllte Gasflaschen. Die beweglichen D-Zug-Wagen wurden abgekoppelt und nach Osten in den Bahnhof Oebisfelde zurückgezogen. Nur Post und Speisewagen konnten nicht aus der Brandzone entfernt werden. Sie waren ineinander und mit der Lok verkeilt. Die Güterzugwagen wurden von Kräften der Reichsbahn und der FF Velpke an eine, auf Einfahrt in den Bahnhof Oebisfelde wartende Lokomotive angekoppelt und in Richtung Vorsfelde abtransportiert.

Von den 27 Tankwagen des Güterzuges sind so 13 Wagen aus der Gefahrenzone gezogen worden. Um 2.00 Uhr werden in einer 2. Lagemeldung an die FTZ Helmstedt dringend Wasser und Schaum angefordert, da 2 weitere Waggons zu explodieren drohen. Deshalb werden die Besatzungen der TLF der FF Grasleben und Marienthal alarmiert und das TLF der BF Wolfsburg angefordert. Außerdem werden in der FTZ Helmstedt 8 Behälter mit jeweils 60 l Schaummittel verladen, die um 2.32 Uhr an der Einsatzstelle eintreffen. Um 2.41 Uhr trifft Kreis-Brandmeister E. Beese vor Ort ein und übernimmt die Einsatzleitung. Da der Brunnen am Bahnhof Oebisfelde kein Wasser führt, muß südlich der Bahnlinie eine 2. Leitung verlegt werden. Immer wieder müssen die Schaummittelreserven der Einsatzfahrzeuge aufgefüllt werden. Im nördlichen Brandabschnitt platzen Schläuche, der Druck wird vermindert, um sie auszuwechseln. Für den Aufbau der Wasserversorgung aus der Aller in Richtung Breitenrode benötigt die FF Vorsfelde noch B-Schläuche um die restlichen 500 m zu überbrücken.

Um 3.00 Uhr sind die Schaummittelreserven endgültig aufgebraucht. Weiteres Schaummittel und Schläuche werden vorerst nicht angefordert, da um 3.07 Uhr die BF Wolfsburg mit 2 000 m Schlauchmaterial ausrückte und kurz darauf, um 3.25 Uhr, die BF Magdeburg mit den benötigten Mitteln an der Unfallstelle eintrifft. Die Löschzüge werden zur Verstärkung der freiwilligen Feuerwehren in die Brandbekämpfung eingebunden. Mit dem Schlauchfahrzeug wird die Wasserversorgung zur Aller über etwa 1,5 km vollendet. Mit dem Wasser aus der Aller wird vorerst weiter gekühlt. Dadurch können die Kräfte umgruppiert und ein massiver Schaumangriff vorbereitet werden. Die Drehleiter der BF Magdeburg wird in Stellung gebracht. Sie soll als Schaumarm mit an der Leiterspitze befestigten Mittelschaumrohren die Löschung der brennenden Tankwagen und Lokomotiven aufnehmen. Die FF Salzwedel trifft um 3.55 Uhr mit einer Drehleiter und dem Beleuchtungsgerät vor Ort ein, sie wird in den Brandabschnitt Süd eingegliedert. Kurz vor 4.00 Uhr entweichen aus einem umgestürzten Kesselwagen unter Druck Benzindämpfe, die das Feuer wieder aufflackern lassen.

Die Kräfte werden nochmals zu äußerster Vorsicht gemahnt. Um 4.10 Uhr bereitet die BF Magdeburg im Brandabschnitt Nord einen Schaumangriff mit dem Wasser aus der Aller vor. Der in ca. 30 Minuten mit 4 Mittelschaumrohren vorn Typ MSR 4/100 T erfolgreich beendet wird. Dabei wird über und unter die Wagen und Lokomotiven eine geschlossene Schaumdecke gelegt. Die durch die Schaumzerstörung und das in den Kabelkanälen ablaufende Benzin hervorgerufenen Rückzündungen werden mit einem oder zwei Mittelschaumrohren sofort niedergeschlagen. Um 4.13 Uhr fordert KBM Beese den A-Dienst des Landkreises Klötze an, damit ein Verantwortlicher des Territoriums die Einsatzleitung übernimmt. Um 4.20 Uhr treffen Herr Schmidt, als Vertreter der Kreisverwaltung Klötze sowie Staatssekretär Dr. Mann und Polizeichef Klapa aus Magdeburg am Ereignisort ein, die über das dortige BFLZ alarmiert wurden.

Nach kurzer Rücksprache mit dem Einsatzleiter, Kamerad Beese, belassen sie die Leitung des Feuerwehreinsatzes in den Händen der FF Velpke. Der Einsatzleiter und die Leiter der Brandabschnitte kommen 4.30 Uhr auf der nördlichen Seite zusammen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Während dieser Zusammenkunft wird Dr. Mahn darüber informiert, daß Benzin in den Seilkanälen der Signal- und Weichenanlagen abläuft. Erst daraufhin, wird an der Einsatzstelle striktes Rauchverbot verhängt. Aufgrund des Ausbleibens weiterer Reservekräfte aus den Feuerwehren der Umgebung wird die Anweisung gegeben, daß alle Feuerwehren solange vor Ort bleiben, bis das Feuer gelöscht ist. Für den Brandabschnitt Süd erfolgt um 5.40 Uhr das Kommando "Wasser halt". Der Brand ist eingedämmt.

Die Feuerwehren aus Niedersachsen bauen ab. Die Anzahl der, vor Ort verbleibenden Kräfte reicht aus, um die auftretenden Rückzündungen und Aufflammungen jederzeit unter Kontrolle zu halten. Um 6.15 Uhr wird nach 5 stündigem, kraft- und materialaufwendigem Einsatz "Feuer aus" gemeldet. Für die Feuerwehren des Landkreises Helmstedt ist damit der Einsatz beendet und KBM Beese übergibt die Einsatzleitung an die Kreisverwaltung Klötze. Noch am Tage schieben Bulldozer brennendes Erdreich vor sich her, denn von den geladenen 1 163 t Benzin sind ca. 200 t ausgetreten.

3. Ursache, Schaden

Die Ursache des Zugunglücks ist nach kriminalpolizeilichen Untersuchungen auf menschliches Versagen des Triebfahrzeugführers des Güterzuges durch Überfahren eines funktionstüchtigen Halt zeigenden Signals" zurückzuführen. Der D-Zug hatte beim Überfahren der Gleiskreuzung die Vorfahrt. Der Gesamtschaden wird mit 5 Mio. DM beziffert. Durch das auslaufende Benzin wurden ca. 10 000 m2 Erdreich und das Grundwasser kontaminiert. Auf einer Fläche von 80 x 20 m wurde bis in eine Tiefe von 2,20 m verseuchte Erde entfernt und neu aufgefüllt. Aufgrund der Wagenfolge des D-Zuges sind nur 3 Tote (2 Lokführer und ein begleitender Azubi) und 21 Verletzte zu beklagen, von denen 14 nach kurzer ambulanter Behandlung sofort die Reise fortsetzen konnten.

Schlußbetrachtung

Während des gesamten Einsatzes bestand aufgrund nicht vorhandener oder nicht aufeinander abgestimmter Kommunikationstechnik (2- und 4-m-Band) unter den Feuerwehren aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sowie mit der Reichsbahn kein Funkkontakt, Erschreckend ist, daß die Kräfte der FF Oebisfelde im Grenzgebiet über keine Ortskenntnisse verfügten und die Aktualisierung der Löschwasserpläne nicht erfolgte. Kann ein Brand, so wie der hier beschriebene, nur durch den Einsatz von Schaum beherrscht werden, ist sein Einsatz unbedingt notwendig, da sonst die Umweltbelastung durch unsachgemäße Brandbekämpfung und größere Mengen eventuell kontaminierten Löschwassers, das unter erheblichem Aufwand entsorgt werden muß, größer ist. Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt dankt den Feuerwehren des Nachbarlandes Niedersachsen für die erwiesene schnelle Hilfe bei der Brandbekämpfung.

Eingesetzte Feuerwehren

FF Velpke: ELW, TLF 8, LF 8, LF 16 - 27 Feuerwehrmänner (Fm)

FF Grafhorst: LF 8, LF 16 - 18 Fm

FF Bahrdorf. TLF 8, LF 8 - 11 Fm

FF Groß Twülpstedt: TLF 8, LF 8 - 11 Fm

FF Grasleben: LF 16, VW-DK - 15 Fm

FF Marienthal: TLF 8 - 4 Fm

FF Helmstedt: VW-Transporter - 2 Fm

FF Vorsfelde: ELW, TLF 16, LF 8, GW -21 Fm

FF Ehmen: 3 Fm

BF Magdeburg: 2 TLF 16, 2 LF 16, 2 DL 30, SW, SBA 4.5 - 24 Fm

(von weiteren Feuerwehren fehlen leider diesbezügliche Angaben.)

Skizze:

Schematische Darstellung

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